Aktuelles
27. Oktober 2021

Überraschende Begegnung in der Eiszeit: Flusspferd trifft Mammut am Rhein

Aktuelle Ergebnisse des von der Klaus Tschira Stiftung geförderten Forschungsprojekts „Eiszeitfenster Oberrheingraben“ revidieren Vorstellungen von der Lebenswelt der letzten Eiszeit

Mannheim, 27. Oktober 2021. Noch vor rund 30.000 Jahren tummelten sich Flusspferde im Rhein. Dies hat ein interdisziplinäres Forscherteam jetzt im Rahmen des Projekts „Eiszeitfenster Oberrheingraben“ nachgewiesen und sogleich als Rekonstruktion in die noch bis März laufende Ausstellung „Eiszeit-Safari“ der Reiss-Engelhorn-Museen (rem) in Mannheim „eingebaut“ (Foto: rem/Rebecca Kind).

Der Oberrheingraben ist ein wichtiges kontinentales Klimaarchiv. Tierknochen haben Jahrtausende in Kies- und Sandablagerungen überdauert. Sie stellen heute eine wertvolle Quelle der Forschung dar, weil sie ein Fenster in die Vergangenheit öffnen und zahlreiche neue Erkenntnisse zur Klima- und Umweltentwicklung der letzten Kaltzeit in Südwestdeutschland liefern.

„Das Forschungsprojekt schlägt eine Brücke zwischen international renommierter Forschung und spannender, generationenübergreifender Vermittlung. Das passt zum Ansatz der Klaus Tschira Stiftung, die Naturwissenschaften sowohl in den Bereichen Forschung, Bildung als auch Wissenschaftskommunikation zu fördern“, so die Geschäftsführerin der Klaus Tschira Stiftung Beate Spiegel.

Die Flusspferdfunde, deren Untersuchung zu den neuen Erkenntnissen führte. Foto: KTS/Baumbusch

Zu einem überraschenden Ergebnis führte die Analyse von Flusspferdfunden. Dass diese Tiere, die heute nur noch in Afrika heimisch sind, einst auch in Deutschland lebten, war zwar seit langem bekannt. Es wurde jedoch angenommen, dass die wärmeliebende Art hier bereits am Ende der letzten Warmzeit vor 116.000 Jahren ausgestorben sei. Die aktuellen Datierungen des Forschungsprojekts von Funden aus unterschiedlichen Kiesgruben im Oberrheingraben widerlegen diese Annahme.

„Es ist schon erstaunlich, wie gut die Knochen erhalten sind. An vielen Skelettresten war es möglich, auswertbare Proben zu entnehmen – nach dieser langen Zeit keine Selbstverständlichkeit“, betont Ronny Friedrich, Experte für Altersbestimmung am Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie.

Insgesamt 30 Flusspferdfunde haben er und sein Team mit der C14-Methode untersucht. Die Ergebnisse wurden von einem zweiten Labor bestätigt. Sie zeigen, dass zwischen 48.000 und 30.000 Jahre vor heute noch Flusspferde im Oberrheingebiet lebten.

„Das Flusspferd ist am Rhein also ein waschechter Eiszeit-Bewohner. Das zeigt, dass die Tiere in der Lage waren, sich gut an die entsprechenden Temperaturen und Umweltverhältnisse im kaltzeitlichen Oberrheingraben anzupassen“, fasst rem-Generaldirektor und Projektleiter Wilfried Rosendahl zusammen. „Die Isotopenanalysen zur Ernährung ergaben, dass die tonnenschweren Flusspferde neben Gewässern dort auch ausreichend geeignete Pflanzennahrung vorgefunden haben.“

Eine weitere Untersuchung stützt die Schlussfolgerung, dass das Klima im Oberrheingraben milder war als bisher allgemein angenommen. Neben Knochen wurden auch Holzfunde mit der C14-Methode analysiert. Dabei kam heraus, dass es sich um Eichen mit einem Umfang von bis zu 80 Zentimeter handelt, die vor rund 40.000 Jahren in der Oberrheinregion wuchsen. „In der letzten Eiszeit standen in unserer Region noch stattliche Eichen – etwas, was wir bisher nicht für möglich gehalten haben“, ergänzt Rosendahl.

Seit fünf Jahren untersuchen Wissenschaftler der Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen, des Curt-Engelhorn-Zentrums Archäometrie sowie der Universität Potsdam Hunderte von Knochenfunden. Neu vorliegende Ergebnisse revidieren bisher gängige Vorstellungen von der Lebenswelt der letzten Eiszeit in Südwestdeutschland. Das Projekt wurde ermöglicht durch die Unterstützung der Klaus Tschira Stiftung.

KTS-Geschäftsführerin Beate Spiegel und rem-Generaldirektor Wilfried Rosendahl enthüllten die Rekonstruktion des Flusspferdes. Foto: KTS/Baumbusch

Die neuesten Forschungsergebnisse spiegeln sich auch in der ebenfalls von der Klaus Tschira Stiftung (KTS) geförderten Sonderausstellung „Eiszeit-Safari“ in den Reiss-Engelhorn-Museen wider. Die Schau lädt Kinder und Erwachsene auf eine spannende Reise in die Welt der letzten Eiszeit vor 40.000 bis 15.000 Jahren ein. Hier gesellt sich zum Mammut jetzt auch die lebensechte Rekonstruktion eines Flusspferds. Die Ausstellung ist noch bis zum 13. Februar 2022 in Mannheim zu sehen.

 

 

 

 

 

 

 

Zum Hintergrund:

Forschungsstandort Mannheim

Zu den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim gehören verschiedene Forschungseinrichtungen – darunter das Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie (CEZA). Das renommierte Institut ist national und international an zahlreichen Projekten beteiligt. Es ist spezialisiert auf die naturwissenschaftliche Analyse von archäologischen Objekten und Kulturgütern. Seine Expertise umfasst die Bereiche Altersbestimmung, Bioarchäologie, Echtheit und Materialanalyse. Ergebnisse der hauseigenen Forschungseinrichtungen fließen direkt in große Sonderausstellungen ein und machen so moderne Wissenschaft für ein breites Publikum verständlich.

www.rem-mannheim.de www.ceza.de www.eiszeit-safari.de

Die Klaus Tschira Stiftung

Die Klaus Tschira Stiftung (KTS) fördert Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik und möchte zur Wertschätzung dieser Fächer beitragen. Sie wurde 1995 von dem Physiker und SAP-Mitgründer Klaus Tschira (1940–2015) mit privaten Mitteln ins Leben gerufen. Ihre drei Förderschwerpunkte sind: Bildung, Forschung und Wissenschaftskommunikation. Das bundesweite Engagement beginnt im Kindergarten und setzt sich in Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen fort. Die Stiftung setzt sich für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ein. Weitere Informationen unter: www.klaus-tschira-stiftung.de