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19. Mai 2020

Zum Zerreißen gespannt

Heidelberg. Ein Riss im Sneaker, ein geplatzter Reifen – Materialermüdung ist ein alltägliches Phänomen und tritt immer zur Unzeit auf. Oftmals sorgt das lediglich für leichten Ärger, zuweilen kann es aber auch tödliche Folgen haben. Doch während das Phänomen bei synthetischen Materialien inzwischen gut erforscht ist, liegen die Gründe für Ermüdungserscheinungen im Gewebe von Säugetieren, das häufig extremer mechanischer Belastung ausgesetzt ist, noch weitgehend im Dunkeln. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Heidelberger Instituts für Theoretische Studien (HITS), das zur Klaus Tschira-Gruppe gehört, konnte nun nachweisen, welche negativen Auswirkungen mechanische Belastung auf Kollagengewebe hat. Die Ergebnisse der Studie, die in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurden, können wichtige Impulse für Materialforschung und Biomedizin liefern. Es ist seit langem bekannt, dass synthetische Polymere unter mechanischer Belastung sogenannte Mechanoradikale bilden, die durch den Bruch chemischer Bindungen entstehen. Aber werden diese schädlichen und hochreaktiven Radikale auch in Gewebe erzeugt, das einer starken Belastung ausgesetzt ist?

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Forschungsgruppe “Molekulare Biomechanik” am HITS gingen dieser Frage am Beispiel von Kollagen nach, dem Protein, das uns im wahrsten Sinne des Wortes im Innersten zusammenhält, indem es unserem Bindegewebe in Knochen, Bändern und Haut strukturelle und mechanische Stabilität verleiht. “In dieser Rolle ist es fortwährender mechanischer Belastung ausgesetzt und somit der perfekte Kandidat für unsere Studie”, so Frauke Gräter, Forschungsleiterin am HITS. Zusammen mit Kollegen aus Homburg, Frankfurt und Seattle zeigte ihr Team in einer Reihe speziell entwickelter Experimente, dass Kollagen unter exzessiver mechanischer Belastung Radikale produziert. Diese Erkenntnis war insofern entscheidend, als Radikale dafür bekannt sind, im Körper Schäden und oxidativen Stress hervorzurufen.

Die Resultate legen nahe, dass Kollagen sich im Körper zu einer Art „Radikalschwamm“ entwickelt hat. “Unsere Studie zeigt, dass Kollagen sich selbst vor Radikalen schützt. Wird dieser Mechanismus jedoch überdehnt, kann es zu oxidationsbedingten Schädigungen kommen, von Schmerzen bis hin zu Entzündungen”, fasst Agnieszka Obarska-Kosinska vom HITS zusammen.

Die Ergebnisse könnten nicht nur eine Erklärung dafür liefern, warum Fußballspielen zuweilen sehr schmerzhaft sein kann, sie liefern auch vielversprechende Ansätze für eine bessere Regeneration und Transplantation von Gewebe, zum Beispiel in der Sportmedizin.

Publikation: https://www.nature.com/articles/s41467-020-15567-4

Pressekontakt:
Dr. Peter Saueressig
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS)
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Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS)
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